Ein Gesetzeshüter ohne Beziehung

Vor Kurzem durfte ich in meiner Arbeit einen Vater begleiten, der das Gefühl hatte, den Kontakt zu seinem 6-jährigen Sohn verloren zu haben. Der Vater ist alleinerziehend und zusätzlich voll berufstätig. Bisher konnten die beiden die Situation gut managen und waren nach Aussage meines Klienten ein tolles Team.

Kontaktverlust
Für ihn unerklärlich hat sich jedoch vor ein paar Wochen ein Phänomen eingeschlichen, das der Vater mit folgender Frage beschrieben hat: „Wann bin ich eigentlich zum Gesetzeshüter geworden und bin nicht mehr Begleiter meines Kindes?“
Was meinte er damit? Er hat selber gemerkt, dass im Kontakt mit seinem Sohn, sei es beim Essen, bei Ausflügen, zum Schlafengehen – eigentlich egal, welche Situation – der Vater nur mehr darauf achtet, dass die gesetzten Regeln eingehalten werden. Dies hatte eine zunehmende Verschlechterung der Vater-Sohn-Beziehung zur Folge, die nur noch durch Konflikte gekennzeichnet war. Das „Teamgefühl“ von früher sei völlig verloren gegangen.
Im Gespräch beschrieb er noch eine weitere Beobachtung, die ihn bekümmerte: Er zeige seinem Sohn die Welt nicht mehr! Vor ein bis zwei Jahren habe er ihm Dinge noch erklärt, habe sich Zeit genommen. Jetzt, so bemerke er, erwarte er von seinem Sohn, dass er sich selber beschäftigt und selber – ohne ihn – auf Entdeckungsreise geht.

Kontrollmodus
Ich fand die Beschreibungen des Vaters sehr eindrücklich, und möchte sie daher auch mit euch teilen. Denn fallen wir als Eltern nicht oft in diesen Kontrollmodus? Das passiert oft unbemerkt und schleichend. Erst in der Beziehungsunterbrechung und in der Anhäufung der Konflikte wird es zunächst spürbar. Wir sind nur mehr drauf ausgerichtet, zu kontrollieren, ob die Regeln eingehalten werden, ob das Benehmen passt. Wir verfallen in ein Verhalten, bei dem wir dann wirklich jeden Regelverstoß wahrnehmen und ahnden. Wir haben dann meist das Gefühl, dass unser Kind völlig unfolgsam ist und hören auf, die positiven Eigenschaften unseres Kindes überhaupt wahrzunehmen.

Abbiegemodus
Doch wenn wir einen Moment innehalten, dann merken wir vielleicht, dass es in diesem Fall nicht eigentlich das Kind ist, dass ein schwieriges Verhalten zeigt. In den meisten Fällen ist es genauso Kind wie vorher. Eher sind es wir als Eltern, die eine falsche Abzweigung genommen haben. Unsere Wahrnehmung ist nur noch auf Fehler hin geschärft und nicht mehr auf die guten Dinge.
Natürlich besteht ein Teil unserer Aufgabe auch in diesem unangenehmen „Überwachen“ bzw. Achten, dass Regeln eingehalten werden. Doch ist es ungünstig, wenn dies die Beziehung zum Kind bestimmt. Manchmal kann man doch einfach auch „fünfe gerade sein lassen“, wie eine alte Volksweisheit besagt.

 

 

 

Viele Wege führen zum Ziel

Ich hoffe, ihr hattet alle wunderschöne Weihnachtsfeiertage und seid gut in das Jahr 2019 gestartet, für das ich euch und euren Lieben von Herzen alles Gute wünsche!

Verschiedenheit
Bei den meisten von uns trafen in den letzten Tagen und Wochen die unterschiedlichsten Konstellationen an Menschen aufeinander. Sei es Familie oder Freunde oder auch Bekannte. Vielleicht durftet ihr Menschen treffen, die ihr sonst nicht so oft seht. Eure Kinder haben neue Spielkameraden kennenlernen dürfen oder alte endlich einmal wiedergesehen. Welches Aufeinandertreffen es auch immer gewesen sein mag, war mit Sicherheit etwas zu beobachten und hat somit die Haupttheorie unserer Diskussionen bestärkt:
Es gibt nicht den einen Weg! Nicht den einen Weg, sein Leben zu gestalten und auch nicht den einen Weg, seine Kinder zu erziehen. Die Welt ist bunt! Die Menschen sind bunt! Jeder hat seine Werte, seine Wichtigkeiten, die für ihn im Vordergrund stehen.

Offenheit
Wenn wir für diesen Gedanken offen sind, dann können solche Zusammentreffen sowohl für die Erwachsenen als auch für die Kinder sehr lehrreich sein. Letztere erleben, dass ihre Eltern möglicherweise eine andere Philosophie verfolgen als andere Erwachsene. Da darf zum Beispiel erst Schokolade gegessen werden, wenn der Hauptgang aufgegessen ist, obwohl die Freunde das nicht müssen. Oder da lag unter dem Baum ein Geschenk, während andere Kinder bei ihren Erzählungen kein Ende in der Aufzählung der Geschenke zu finden scheinen.
Das Zusammentreffen verschiedener Erziehungsstile mag auch für Erwachsene immer wieder eine Herausforderung sein und verlangt gleichzeitig ein immer wieder Neu-Entscheiden. Sie bleiben auf ihrem Weg, auch wenn sie in der Gruppe vielleicht die einzigen sind. Oder aber sie überdenken ihre Regeln – können dies einmalig und situationsbedingt tun oder längerfristig, weil sie beim Gegenüber einen Weg beobachtet haben, der ihnen ebenfalls sinnvoll scheint.

Flexibilität
Wie auch immer man sich entscheidet, zeigen solche Zusammentreffen – neben vielem anderem – auf: Es gibt eine Vielzahl an Wegen, um Familie zu leben und um seine Kinder auf ihrem Weg zu begleiten und sie zu erziehen.
Und etwas, was wir uns als Eltern auch immer wieder sagen müssen: wir dürfen uns zwischendurch auch umentscheiden! Wenn wir bei anderen zum Beispiel eine Vorgehensweise beobachten, an die wir noch nicht gedacht oder die wir uns noch nicht getraut haben, dann dürfen und sollen wir durchaus flexibel bleiben.