Ein Bekannter erzählte mir folgende Episode:
Er war mit seinen Kindern zu Hause. Da seine älteste Tochter gerade sehr an Musikinstrumenten interessiert ist, hat er mit ihnen ein Orchesterkonzert angesehen. Er erzählt, dass das Spielen von Trompeten ihn immer ein wenig sentimental macht, und er beim Hören öfter Tränen in den Augen hat. Aber, betonte er, dass er mit aller Kraft versucht hat, dies vor seinen Kindern zu unterdrücken. Ich habe ihn darauf nach dem Grund gefragt und er meinte nur: „Ich kann doch vor den Kindern nicht weinen!“
Eltern ohne Gefühle
Diesem Irrglauben unterliegen viele Erwachsene. Sie vertreten die Ansicht, dass sie vor ihren Kindern jegliche Gefühlsregung zurückhalten müssen. Sie dürfen keine Angst haben, keinen Ärger verspüren und schon gar keine Tränen zeigen – sei es auch nur aus Rührung. Doch was würde dies für unsere Kinder bedeuten? Sie hätten völlig emotionslose Eltern. Sie hätten Eltern, die immer nur gut gelaunt, aber nicht authentisch sind. Und sie hätten keine Vorbilder dahingehend, wie man adäquat mit Gefühlen umgehen kann.
Gefühle gehören raus!
Es ist natürlich richtig, dass Eltern ihre Kinder nicht mit ihren Gefühlen belasten sollen. Sie sind nicht alt genug, um das tragen zu können. Aber zu den Aufgaben von Eltern gehört es, ihren Kindern vorzuleben, wie man mit Gefühlen umgeht. Und wenn eine Situation sie ängstig, dann müssen sie das zeigen. Wenn sie sich über etwas ärgern, dann darf das sein. Wichtig dabei bleibt nur, den Kindern zu erklären, was passiert. Und wenn mich ein Konzert zu Tränen rührt, dann dürfen diese auch über meine Wangen laufen.
Die Gefahr der Emotionslosigkeit
Eine wichtige Lebensaufgabe für Menschen besteht darin, ihre Gefühle benennen zu können. Denn nur so können sie einen Weg finden, mit ihnen umzugehen. Wächst man mit Eltern auf, die nur darauf bedacht sind, dem Kind gegenüber keine Gefühle zu zeigen, nimmt man ihnen ein wichtiges Lernumfeld. Und Kinder wollen in einem Zuhause aufwachsen, in dem laut gelacht wird, in dem bei einer gruseligen Geschichte alle große Augen bekommen oder in dem bei einem traurigen Anlass auch Tränen erlaubt sind.