Wir alle kennen die Aussage „Zwei Dinge sollen wir unseren Kindern geben: Wurzeln und Flügel.“ Auch ich zitiere diesen Satz gerne in meinen Elternbildungsvorträgen zum Thema Bindung. Er ist auf der einen Seite sehr eindrücklich, doch andererseits ist es emotional so unglaublich schwierig.
Wann ist der richtige Zeitpunkt wofür?
Jetzt vor dem Start des neuen Kindergarten- und Schuljahres stehen wir Eltern wieder vor dieser Frage. Vor allem nach den 9 Wochen sehr intensiver Familienzeit heißt es nun wieder loslassen. Seine Kinder allein auf den Schulweg zu lassen. Sie allen Herausforderungen, die sich dort stellen, erleben und meistern lassen. Gleichzeitig aber im Hintergrund da zu sein, sodass sie zurückkehren können, wenn sie wieder einmal etwas mehr Nähe brauchen.
Eigene Erfahrung
Auch mein Mann und ich stehen gerade an diesem Punkt. Unsere Tochter startet in einer Woche mit der Schule. Und schon in den letzten Wochen hat man vermehrt ihren Drang nach Eigenständigkeit bemerkt. Für uns kam es etwas überraschend, weil die Monate davor geprägt waren von Trennungsschmerz seitens unserer Tochter und von viel Klammern. Sie wollte kaum mehr irgendwo allein hin. Jeder Abschied in den Kindergarten war für alle Beteiligten eine Qual, auch wenn dann der Vormittag für sie wieder viel Freude gebracht hat. Von einem Tag auf den anderen aber hat sich das Blatt gewendet. Sie hat den Kindergartenweg wieder allein gemeistert, hat sich den anderen Kindern und auch Erwachsenen mehr geöffnet.
Umstellung
Gerade diese schnellen, unvorhersehbaren Wechsel zwischen Nähe suchen und sich Loslösen ist für Eltern eine Aufgabe, bei der es nicht immer ein Richtig oder Falsch gibt. Grundsätzlich verlangt es etwas, was wir in keinem Erziehungsratgeber, auch in keinem Blog nachlesen können: Es verlangt eine Besinnung auf unsere elterlichen Instinkte, auf ein Vertrauen in unsere Beziehung zum Kind, dass es uns zeigt, was es gerade braucht.
Abschiedsschmerz
Jede*r von euch wird momentan in einem anderen Familienstatus sein. Die einen sind vielleicht gerade in der Zeit, in der sie sich wünschen, endlich wieder einmal allein ins Bad gehen zu können oder in Ruhe ein Buch zu lesen, ohne dass das Kind einen ständig als Schatten begleitet. Die anderen wünschen sich vielleicht, dass sie von ihrem Kind mehr zu sehen bekommen als den Rücken, wenn es gerade wieder aus der Tür raus auf dem Weg in ein neues Abenteuer ohne Eltern ist.
Wir alle müssen uns mit der jeweiligen Situation arrangieren, denn wir können und sollen die Entwicklung der Kinder nicht aufhalten oder beschleunigen.
Allen, die im selben Boot wie mein Mann und ich sitzen und ebenfalls einen ersten Schultag in diesen Tagen erleben, wünsche ich, dass wir das Vertrauen in unsere Kinder haben, dass sie es meistern werden. Dass wir sie gehen lassen können, ohne uns nur Sorgen zu machen. Dass wir uns aber gleichzeitig auch erlauben, die eine oder andere Träne zu verdrücken, dass sie schon so groß sind. Dass wir uns vielmehr auch mit ihnen freuen, dass dieser nächste Lebensabschnitt nun endlich da ist. In einem Interview in der Zeitschrift „Welt der Frauen“ habe ich mich mit einer Mama darüber ausgetauscht, dass wir solche Situation auch als Eltern mit einem Ritual begehen sollten. Denn schließlich ist das Loslassen der Kinder ein großer Schritt!