Erziehen – Ja oder Nein?

Aktuell ist auf focus.de wieder ein Bericht über eine Bewegung zu lesen, die das „Nicht-Erziehen“ propagiert.

Aktuelle Diskussion
Es wird darüber diskutiert, ob Erziehung ein Akt von Gewalt ist, denn es wird davon ausgegangen, dass das Kind in seinen Persönlichkeitsrechten beschnitten und nicht akzeptiert wird. Durch Erziehung würde das Kind von seinen Eltern geformt und nicht als das angenommen, was es ist.
In einem weiteren Schritt wird Erziehung von Kindern auch mit der Beziehung zum Partner/ zur Partnerin verglichen. Partner und Partnerinnen würden sich auch nicht immer so verhalten, wie wir uns das vorstellen. Gleichzeitig wird in dem Artikel betont, dass wir die Grenzen anderer Erwachsenen akzeptieren und sie nicht selber definieren – im Gegensatz zu Kindern.

Praktische Beobachtungen
Die Gedanken dieser Bewegung sind in der aktuellen Zeit weit verbreitet und stehen im Kontrast zu früheren Ansichten, in denen das Autoritätsverhältnis zwischen Eltern und Kindern nicht ausgeprägt genug sein konnte.
Ich frage mich jedoch, ob es wirklich eines der beiden Extreme im Umgang mit Kindern sein muss.
Ich beobachte Eltern auf der Straße. Ich lerne Eltern in meiner Arbeit kennen und darf sie begleiten. Einen Trend, den ich dabei erkenne, ist beinahe eine Angst vor Erziehung, vor dem „Grenzen setzen“ bei Kindern.
So konnte ich vor Kurzem vor einem Geschäft eine Mama beobachten, deren Kinder über irgendein Spielzeug in Streit geraten sind. Dieser Streit ging sogar so weit, dass das ältere der beiden Kinder das jüngere geschlagen hat, um zu bekommen, was es will. Die Mutter ist dabei tatenlos danebengestanden und hat weder eingegriffen noch sich klar positioniert, dass Gewalt gegen andere nicht geht.
Oder ein Vater, der sich anscheinend nicht mehr traut, seine eigenen Rechte vor seinem Kind zu verteidigen. Dieses wischt wie selbstverständlich seine schmutzigen Hände an seiner hellen Hose ab, ohne dass der Vater hier entgegenwirkt.

Veränderte Kommunikation
Eine weitere Beobachtung, die interessant ist, ist eine neue Art der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Hier wird nicht gesagt „Ich will das nicht!“ oder „Bei uns gelten andere Werte. Da handhaben wir die Dinge so.“ Es werden eher Sätze verwendet, wie „Es wäre nett, wenn du das nicht machen würdest.“ Oder auch „Ich glaube nicht, dass ich das in Ordnung finde.“

Verschiedene Gedanken
Ist es wirklich Gewalt gegenüber einem Kind, wenn Eltern ihm ihre Werte vermitteln? Wenn sie ihm zeigen, wie sie sich den Umgang miteinander vorstellen? Wenn sie Grenzen aufzeigen, die für sie und ihr Sein von Bedeutung sind? Woher, wenn nicht von uns Eltern, sollen Kinder denn ihre Orientierung erhalten? Wie sollen sie sich völlig ohne Anhaltspunkte in einem Werteraum bewegen?
Natürlich stimme ich dem Aspekt im Artikel vollkommen zu, dass Kinder als eigenständige Menschen wahrgenommen werden müssen. Sie dürfen nicht unterdrückt oder übergangen werden und sie müssen in ihrer Persönlichkeit ernst genommen und akzeptiert werden. Die Meinung des Kindes muss zählen. Nichtsdestotrotz ist es auch und sehr wohl die Aufgabe von Eltern, sich hinzustellen und dem Kind Grenzen aufzuzeigen, Dinge zu erklären, die für sie nicht akzeptabel sind und eine Orientierungshilfe zu sein.

Abschließende Erkenntnis
Für die Entwicklung eines Kindes scheint es durchaus wichtig zu sein, dass Eltern sich der schwierigen, verantwortungsvollen Aufgabe stellen, Eltern zu sein. Sie müssen einem Kind Wege, Möglichkeiten, aber auch Grenzen aufzeigen, wie das Leben gestaltet werden kann. Nicht immer stimmen die Kinder dabei mit ihnen überein. Aber wenn Eltern ihre Vorstellungen ständig reflektieren und in Bezug zur Persönlichkeit ihres Kindes stellen, dann stellen sie sich zumindest ihrer gewählten Aufgabe.
Außerdem ist es auch in Partnerschaften immer wieder so, dass wir in Auseinandersetzung gehen, dass wir uns gegenseitig unsere Ansichten und Grenzen formulieren müssen und darüber diskutieren, was für uns geht oder nicht. Vermeiden wir hier jegliche Kommunikation, wird die Beziehung nicht auf Dauer funktionieren können.

Autor: Veronika von erziehungsgedanken.com

Mutter und Psychologin, die Theorie und Praxis miteinander verbindet. Was dabei entsteht? Entdeckt es selbst, bei erziehungsgedanken.com

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: