An einer Bushaltestelle höre ich zwei Mütter über ihre neben ihnen stehenden Kinder schimpfen. Wie schwierig es war, aus dem Haus zu kommen und wie mühsam die zwei doch momentan sind. Und da ich das Gespräch aus ein paar Schritten Entfernung hören konnte, gehe ich davon aus, dass auch die Kinder alles mitverfolgen konnten.
In der Schule
Das Kind wird von der Schule abgeholt und die Lehrerin erzählt dem Vater noch von einem Ereignis vom Vormittag. Beide Erwachsene nehmen dabei das betroffene Kind, das sich während der Erzählung immer mehr zurückzieht, kaum wahr.
Bei der Beratung
Eine Mutter sucht mich in der Beratungsstelle auf und bringt ihr Kind mit. Dann erzählt sie mir, dass ihre Tochter neuerdings wieder einnässe und sie es sich nicht erklären kann. Zudem verhalte sie sich seit einiger Zeit wieder wie ein kleines Kind, weine ständig und hänge sehr an der Mutter. Das 8-jährige Mädchen, das von der Mutter gar nicht mehr wahrgenommen wird, versinkt zunehmend in seinem Sessel.
Diese oder ähnliche Situationen sind häufig zu beobachten. Und immer wieder frage ich mich: Sehen die Erwachsenen hier die Kinder wirklich nicht? Gehen sie davon aus, dass diese nicht zuhören?
Wenn wir uns aber wieder bewusstmachen, wie viele Dinge unsere Kinder mitbekommen und sehen – oft mehr, als wir selber – dann muss uns auch klar sein, dass sie unsere Gespräche mitverfolgen.
Öffentliche Bloßstellung
Die Frage muss gestattet sein: Wie würde es uns ergehen, wenn einfach in unserer Anwesenheit über unseren Kopf hinweg von uns erzählt werden würde? Wir würden uns doch auch fragen: Bin ich unsichtbar? Für ältere Kinder können sich diese Gespräche auch noch als Bloßstellung anfühlen.
Kinder wollen und müssen gesehen werden!
Die Beispiele zeigen auf, dass wir Erwachsene dazu tendieren, Kinder nicht als gleichwertige Persönlichkeiten wahrzunehmen. Das ist jedoch von großer Bedeutung für eine gesunde Entwicklung eines Kindes. Sie müssen möglichst früh erfahren, dass sie eigenständig und selbstbestimmt sind und dass es Grenzen der Privatsphäre gibt, die es von klein auf zu respektieren gilt.
Den Kindern Respekt zollen
Versteht mich richtig, natürlich brauchen Eltern Informationen aus öffentlichen Einrichtungen darüber, wie es ihren Kindern geht. Und natürlich müssen Eltern zur ihrer eigenen Psychohygiene zwischendurch jammern, wenn es mit den Kindern einmal schwieriger ist. Aber in all diesen Situationen müssen wir den Kindern so viel Respekt zollen, dass wir nicht so tun, als würden sie nicht existieren. Entweder beziehen wir sie mit in das Gespräch ein oder wir führen das Gespräch, wenn sie anderweitig beschäftigt sind.
Das hat mich zum Nachdenken angeregt, Danke !
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Ganz schlimm auch für Pflegekiddis in HPGs. Unser Mini war nie dabei und die beiden GRossen konnten immer selbst entscheiden ob sie wenn es ans Eingemachte ging mit dabei sein wollten. Sie haben es immer dankend abgelehnt zum Leidwesen des Amtes. Aber auch heute noch mit 19 und 20 Jahren sehen Sie das als eine ganz schlimme Erfahrung.
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Ein wichtiger Artikel. Ich konnte mich immer gut an mich als Kleinkind erinnern, wie überheblich, selbstsüchtig und fremd-der-eigenen-Natur sich solche Erwachsenen verhalten haben, nur weil jemand oder ich „ein Kind“ war.
Kinder nehmen mit ihrem wachen und gesunden Geist ALLES wahr.
Übrigens auch, wenn sie nur das Ergebnis einer Diskussion mitgeteilt bekommen und davor über und nicht mit ihnen gesprochen wurde.
Kinder finden es überhaupt nicht schlimm, wenn erwachsene Fehler machen oder schlecht gelaunt sind oder geschwächt, keine Zeit haben usw.
Es ist erst dann schlimm, und zwar richtig, wenn Erwachsene das nicht zugeben, dem Kind falsche Stärke vorspielen, es darüber anlügen, die Alleskönner und mächtigen geben usw.
Kinder lernen Menschlichkeit durch Menschlichkeit.
Man sollte sich an ihrem Dasein und Wachsen freuen und ihrem Kinderleben mit Respekt und Interesse begegnen.
Es ist nämlich gleichwert wie das Leben eines (scheinbar) Erwachsenen.
Ich finde es schwierig, wenn Erwachsene mit diesem Thema auftauchen, bin aber auch traurig, weil oft kaum ein Kind zur rechten Zeit (nämlich in genau der Alterssituation, in der es passiert) auf den Missstand mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erwachsenengerecht aufmerksam machen kann.
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